16.05.2023
Kabinett: Klage gegen die Wahlrechtsänderung
Am 16.05.2023 habe ich zusammen mit Innenminister Joachim Herrmann über die Beratungen der Ministerrats im Rahmen einer Pressekonferenz berichtet.
1. Bayern klagt gegen die vom Bundestag mit den Stimmen der Ampelfraktionen beschlossenen Wahlrechtsreform
Die Bayerische Staatsregierung hat heute beschlossen, nach der Verkündung des Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht einzuleiten.
Aus Sicht der Staatsregierung ist die vom Bundestag beschlossene Wahlrechtsreform nicht nur verfassungswidrig, sondern gefährdet erheblich den demokratischen und föderalen Zusammenhalt in Deutschland. Das neu geschaffene Wahlrecht ignoriert den Wählerwillen und nimmt in Kauf, zwei anerkannte Oppositionsparteien aus dem Parlament zu drängen. Das ist Machtmissbrauch und Wahlrechtsmanipulation. Die neu geschaffenen Regeln verstoßen gegen den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit sowie gegen das Demokratie- und Bundesstaatsprinzip. Konkret:
- Nichtrepräsentiert: Ein mehrheitlich gewählter Wahlkreisabgeordneter zieht nicht in den Bundestag ein, wenn das Mandat nicht vom Zweitstimmenergebnis seiner Partei „gedeckt“ ist. Eine flächendeckende Repräsentation durch direkt gewählte Mandatsträger ist damit nicht mehr garantiert („verwaiste Wahlkreise“). Bei Anwendung des neu geschaffenen Wahlrechts wären beispielsweise 2021 bundesweit zahlreiche Wahlkreismandate ohne Zweitstimmendeckung geblieben und damit nicht zugeteilt worden: in Baden-Württemberg 10 von 38 (entspricht 26,3 %), in Brandenburg 3 von 10 (entspricht 30 %). Allein in Bayern wären 7 von 46 Wahlkreisen (entspricht 15 %) „verwaist“ geblieben. Die Änderungen führen damit zur erheblichen Schwächung der bewährten regionalen und föderalen Repräsentation im Bund.
- Unterrepräsentiert: Bayern als Land käme in Berlin nicht mehr proportional vor. Warum? 2021 hat die CSU alle 45 bayerische Wahlkreise gewonnen. Würde die CSU mangels 5 % im Bundestag fehlen, würden nahezu alle bayerischen Direktkandidaten fehlen. Bayern bestünde fast komplett aus „verwaisten“, also im Bundestag nicht repräsentierten Wahlkreisen. Bayern wäre aber auch über die Liste massiv unterrepräsentiert. Denn aus Bayern kämen dann nur die (wenigen) Listenabgeordneten der anderen Parteien. Bei Annahme eines Zweitstimmenergebnisses der CSU von 4,9% bei der Bundestagswahl 2021 gäbe es statt 98 bayerischer Abgeordneter dann nur noch 65, statt 16 % der Abgeordneten würde Bayern nur noch 10 % stellen (deutlich weniger also als der Bevölkerungsanteil Bayerns).
- Falschrepräsentiert: Bayern würde im geschilderten Fall dann nur durch Abgeordnete repräsentiert, die Parteien entstammen, die hier nicht die Mehrheit haben, während die bayerische Mehrheitspartei im Bundesparlament fehlt.
- Parteizugehörigkeit schadet: Wer einer Partei angehört, hat schlechtere Karten ins Parlament zu kommen als ein Parteiloser. Denn letzterer braucht keine 5 %-Hürde zu erfüllen. Gewinnt er seinen Wahlkreis, ist er in jedem Fall „drin“. Ein Parteiangehöriger hingegen muss eine weitere Hürde nehmen: Er kommt nur zum Zug, wenn zusätzlich auch seine Partei 5 % erreicht. Parteizugehörigkeit als Nachteil: Ein Widerspruch zum grundgesetzlichen Parteienprivileg.
- Benachteiligung regional verwurzelter Parteien: Die 5 %-Sperrklausel soll auch weiterhin nicht für nationale Minderheiten gelten. Auf bedeutende regionale Mehrheiten soll hingegen keinerlei Rücksicht mehr genommen werden. Regionale Mehrheiten wären künftig im Bundestag ausgeschlossen, regionale Minderheiten nicht. Eine Sperrklausel, die vor der Verfassung Bestand haben will, muss aber insgesamt auf die Besonderheiten des jeweiligen Landes, für das sie gelten soll Rücksicht nehmen. Dazu gehören neben den nationalen Minderheiten auch die bewährte föderale Struktur Deutschlands sowie das jahrzehntealte Bestehen einer auch im Bund vertretenen starken bayerischen Partei.
Mit der Prozessvertretung hat die Staatsregierung Prof. Dr. Markus Möstl von der Universität Bayreuth beauftragt.
2. Ministerrat beschließt Bundesratsinitiative zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege / Arbeitsbedingungen für Stammpersonal in den Einrichtungen verbessern
Leiharbeitskräfte können in Ausnahmefällen eine notwendige Ergänzung zum Stammpersonal von Einrichtungen sein, sie dürfen aber nicht zur dauerhaften Ersatzlösung werden. Bayern bringt deshalb einen Entschließungsantrag in den Bundesrat ein, um Leiharbeit in der Pflege einzudämmen. Die Arbeitsbedingungen für das Stammpersonal in den Einrichtungen sollen so verbessert werden, dass ein Wechsel in die Leiharbeit für die Pflegekräfte nicht mehr attraktiv ist. Außerdem sollen die Einrichtungen in die Lage versetzt werden, belastbare Ausfallkonzepte, wie etwa Springermodelle, aufzustellen und zu finanzieren, damit sie Leiharbeit nur noch in Ausnahmefällen in Anspruch nehmen müssen.
Die Staatsregierung fordert die Bundesregierung deshalb mit der heute beschlossenen Bundesratsinitiative dazu auf, die Leiharbeit in der Pflege zu begrenzen und die Arbeitsbedingungen insgesamt zu verbessern. Konkret soll die Bundesregierung eine Regelung auf den Weg bringen, um die Gleichbehandlung von Stammpersonal und Leiharbeitskräften in der Praxis stärker als bisher zu gewährleisten, entgegenstehende Abreden für unzulässig zu erklären und Verstöße zu sanktionieren. Zudem soll geprüft werden, ob durch bundesrechtliche Regelungen überzogene Vergütungen der Leiharbeitsbeschäftigten im Pflegebereich unterbunden werden können, etwa in Form eines Vergütungsdeckels.